Autorenlesung Richard Brox: „Kein Dach über dem Leben“
29.11.2023 in Egglkofen
Egglkofen – Am Mittwoch 29.11.2023 fand im Pfarrheim Egglkofen eine Autorenlesung mit Richard Brox statt, bei der er sein neues Buch „Kein Dach über dem Leben“ vorstellte. Den Kontakt zum Autor stellte Frau Fischereder Teresa her, so dass nach einigen Telefonaten dieser Termin zustande kam.
Pfarrer Markus Hochheimer begrüßte zu Beginn Richard Brox, als außergewöhnlichen Literaturpreisträger (Literaturpreis 2019). Er besucht Obdachlose im Krankenhaus, wenn sie sonst niemanden mehr haben, der sich um sie kümmert. Darauf begrüßte Pfarrer Hochheimer die stellvertretende Landrätin Frau Ilse Preisinger-Sontag, den 2.Bürgermeister Thomas Mayrhofer, den Kirchenpfleger Hausperger Leonhard und den stellvertretenden Pfarrgemeinderatssprecher Wolfgang Kirschner und für die Presse H. Schwarz vom Oberbayrischen Volksblatt. Zum Ablauf merkt Pfarrer Hochheimer an, dass im Anschluss an die ca. 20-minütige Lesung alle Fragen, die auf dem Herzen liegen an den Autor gestellt werden können, der Obdachlosen in ihren letzten Stunden beisteht und dafür ein Deutschlandticket über 4000.-€ benötigt.
In ihrem Grußwort richtet Frau Ilse Preisinger-Sontag Grüße vom Landrat Max Heimerl aus. Sie wäre gerne hier, weil sie neugierig ist und bedankte sich bei Frau Fischereder und allen Beteiligten für das Zustandekommen des Abends und dass dem Thema Obdachlosigkeit Raum gegeben wird. In dieser Jahreszeit ist es ohne Dach über dem Kopf finster, kalt, unmenschlich und gefährlich. Von der prominentesten Wohnungssuche hören wir wieder an Weihnachten. 2022 haben die Ordnungsämter folgende Zahlen angegeben: 50.000 Menschen leben in Deutschland auf der Straße. Im Landkreis Mühldorf ist es nicht so schlimm, aber es gibt auch Obdachlose. Die verdeckte Wohnungslosigkeit ist dagegen 4mal so hoch. Wer mal nur bei Freunden unterkommt, zeigt die Statistik nicht. Verdeckte Not ist es auch, wenn viele in nicht gewaltfreien Partnerschaften bleiben. Durch die Flucht aus der Ukraine wird die Wohnungssuche zusätzlich schwieriger. Wie kann man dagegen wirken?
Der 2.Bürgermeister Thomas Mayrhofer entschuldigt den 1. Bürgermeister Johann Ziegleder und richtet beste Grüße von ihm aus. Das Thema Obdachlosigkeit und Wohnungssuche geht unter. Er freut sich über den Vortrag, weil man immer meint, bei uns im nördlichen Landkreis Mühldorf ist das Thema weit weg, dabei gibt es über die verdeckte Wohnungsnot keine Zahlen. Er stellt sich die Frage, was man in unserer kleinen Gemeinde tun kann.
Richard Brox bedankte sich bei den Rednern und Frau Fischereder. Zunächst stellte er den Zuhörern die Frage welchem Grund sie gehabt haben, heute zu kommen. Dies war für einige der heutige Zeitungsartikel in der Neumarkter Zeitung, der Richard Brox vorstellte und die Lesung ankündigte.
Richard Brox hat seine Obdachlosigkeit zum größten Teil nicht selbst verschuldet, wie er im bereits erschienenen Buch „Deutschland ohne Dach“ beschreibt. In diesem Buch sind 18 Biografien von Obdachlosen zu lesen und eine Erinnerung an den Musiker Manuel Göttsching in der sich Richard Brox für eine Übernachtung mit Essen bei dessen Familie in Berlin bedankt. Dieser hat ihm oft geholfen und ihn zu seinen Konzerten eingeladen.
Der Autor erzählt, dass er 30 Jahre als Berber gelebt hat. In seinen im Rowohlt Verlag erschienen Büchern erzählt er seine Geschichte. Mit nur 5 Jahren kam er zum ersten Mal in ein Kinderheim. Weitere 4 Aufenthalte dort folgten bis er 18 Jahre alt war. Dazu kamen Aufenthalte in der Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie kurzzeitig auch im Jugendgefängnis. Als Kind fühlte er sich als Fremder unter Fremden. Seine Eltern waren nie zugewandt, haben ihn nie in den Arm genommen. Er wohnte mit seinen Eltern in einer 2-Zimmerwohnung in einem tristen, grauen Mannheimer Stadtteil, einem sozialen Brennpunkt, wo Alkohol, Drogen, Gewalt und Missbrauch zum Alltag gehörten. Seine Eltern waren unfähig ihre Kinder zu erziehen, was seiner Meinung nach vielleicht an ihren Erlebnissen in der Nazizeit liegen könnte. Der Vater war Alkoholiker und starb 1977 mit 51 Jahren an Krebs. Seine Mutter starb mit 64 Jahren 1985 an mehreren schweren Schlaganfällen. Erst am Sterbebett erzählte sie ihrem Sohn viele grauenvolle Geschichten. Erst jetzt erfuhr er, was die Eltern in der Nazizeit erlebt hatten. Die Mutter war polnische Jüdin aus Kattowitz, die zur Zwangsarbeit ins Deutsche Reich nach Kassel getrieben wurde. Nachdem sie geflohen und wieder gefasst wurde, kam sie ins KZ Ravensbrück. Das Urteil lautete Todesstrafe. Der Vater entzog sich mehrfach dem Kriegsdienst und landete in einem berüchtigten Wehrmachtsgefängnis in Linz. Die innere Kälte der Eltern und die grauenhaften Anspielungen auf diese Zeit, fühlten sich für den jungen Richard Brox an, wie das Fallbeil einer Guillotine. Die Frage, warum der Mensch sich derart an anderen vergreifen kann, treibt ihn noch heute um. Die Kinderheime in denen der Autor untergebracht war, waren teilweise noch schlechter als das Zuhause. Deshalb ist er öfter ausgerissen. Als 13-jähriger war er in einem Heim in dem sich zwei Erzieher regelmäßig an den Jugendlichen vergingen. So floh er wieder. Wenn dir niemand hilft, dann hilf dir selbst, sagte er sich. Das Wie musste er erst noch lernen. Als er im Alter von 21Jahren 1986 die elterliche Wohnung durch eine Zwangsräumung verlor, stürzte er ab in die Drogensucht. Da er in Mannheim von 1986 bis 1989 keine Hilfe bekam, aus der Drogensucht heraus zu kommen, schaffte er es in Heidelberg das Therapiezentrum für Drogenabhängige nach einem halben Jahr als gesund (clean) wieder zu verlassen. Um nicht wieder rückfällig zu werden, kehrte er seiner Geburtsregion den Rücken und so entschloss er sich nun ohne festen Wohnsitz quer durch Deutschland zu reisen. Die katholische Nächstenliebe war für ihn immer wichtig. So hatte er im Jahr 2000 ein Schlüsselerlebnis, das sein Leben verändern sollte. In einem Wohnheim der Wohnungslosenhilfe wurde er gebeten einen anderen Obdachlosen, Gerd einen Bekannten aus Nürnberg, im Krankenhaus zu besuchen, weil dieser von niemandem Besuch bekommt. Dieser war als Quartalstrinker bekannt, dann aber wieder wochenlang nüchtern. Erst im Krankenhaus erfuhr Brox dessen Geschichte. Vor seinem Absturz hatte dieser eine ganz normale Familie, Frau und Kind und ein zweites unterwegs, als er diese mit einem Schlag durch einen tödlichen Autobahn-Unfall verliert. Brox war sein einziger Besucher im Krankenhaus und begleitete ihn täglich bis er schließlich an Krebs verstirbt. Auf dessen Beerdigung war Brox allein mit dem Pfarrer und einem Friedhofsangestellten. Durch dieses Schlüsselerlebnis will Brox nun auch anderen den Abschied erleichtern durch seine Hospizarbeit.
Richard Brox spricht sich dafür aus, die Rückkehr ins bürgerliche Leben denen zu ermöglichen, die es wollen. Man soll Verständnis dafür bekommen, warum die Menschen auf der Straße leben. Brox fordert, in der Landesverfassung sollte stehen: Das Recht auf Arbeit, Ausbildung, Wohnraum soll für alle Bürger gewährleistet sein. Um einen Menschen aus der Obdachlosigkeit zu holen, braucht er zuerst eine Wohnung. Dann müssten die Geldschulden geregelt werden und die Gesundheit wieder hergestellt werden, also körperliche und seelische Gebrechen. Und als Drittes soll nach der Gesundung die Reintegration, die Rückkehr in den Arbeitsmarkt erfolgen. Brox wünscht sich ein 4-wöchiges Praktikum mit Bezahlung und anschließend einen Jahresvertrag. So sollte nach 3 Jahren Arbeit die Rückkehr in die Gesellschaft gelungen sein.
Brox meint, jeder könnte sich um andere kümmern und helfen, zum Bespiel Senioren, die alt sind. Jeder hat Hilfe verdient.
Nach einer 5-minütigen Pause beantwortete der Autor die Fragen der Zuhörer. Was treibt einen Obdachlosen um? Wie überlebt man das? Wo geht man hin, wenn die kalte Jahreszeit beginnt? Es gibt Wärmestuben, Wohnheime, Übernachtungsstätten, Pfarrämter zum Aufwärmen, wo man etwas Warmes zum Essen bekommen kann. In öffentlichen Hallenbädern kann man zum Duschen gehen. Es gibt Lebensmittelausgaben. In Industriegebieten kann man zwischen 6 und 7Uhr als Tagelöhner anwerben. Um 9Uhr kann man den Tagessatz für Bürgergeld erhalten. Bahnhofsmissionen gibt es in größeren Städten. Warme Lebensmittel und Getränke werden gerne angenommen und helfen das Leben erträglicher zu machen. Viele sind so verzweifelt, haben die Hoffnung und das Vertrauen verloren, dass einem geholfen wird. Das Wichtigste ist ein Dach über dem Kopf, sonst bekommt man nicht leicht Arbeit. Der Katholizismus und die Nächstenliebe sind der Grundstein für die Solidarhilfe. Vor Gott sind alle Menschen gleich, so Richard Brox. Deshalb begleitet er Menschen bis auf den Friedhof. So hat er zeichenhaft aus der Not herausgefunden und berichtet dies am 30.11.23 von 19.30-20.00Uhr im WDR und am 4.12.23 16-18Uhr im WDR bei „hier und heute“. Zum Abschluss bedankt sich der Autor bei den Zuhörern für die heute geschenkte Lebenszeit.
Pfarrer Markus Hochheimer überreicht ein Präsent an Richard Brox mit fair gehandeltem Kaffee und Schokolade sowie eine Jubiläumskerze „200Jahre Pfarrei Egglkofen“. Anschließend signierte der Autor noch die heute erworbenen Bücher.